Titel: Wenn ich die Augen schließe
Autorin: Ava Reed
Verlag: Loewe Verlag
Erscheinungsdatum: 08.10.2020 Seitenanzahl: 320 Preis: 14.95€/Wickelbroschur
Inhalt/Klappentext:
Diese Frage stellt sich Norah nach einem schweren Autounfall. Zwar erinnert sie sich an die meisten Momente ihres Lebens, aber eben nicht an das, was sie dabei empfunden hat. Liest sie gern? Liebt sie ihren Freund? Findet sie ihre kleine Schwester tatsächlich so nervig? Nur ihren Sandkastenfreund Sam verbindet sie noch mit einem Gefühl. Doch sie hatten seit Jahren keinen Kontakt, weil Norah beliebt wurde und Sam nicht. Während die beiden sich langsam wieder annähern, entwickeln sie eine Ausprobierliste. Und plötzlich fragt sich Norah: War sie vor dem Unfall wirklich sie selbst?
Eindruck:
Ava Reeds realistische Jugendbücher haben einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen, weshalb ich mich schon seit der Bekanntgabe von „Wenn ich die Augen schließe“ unheimlich auf Norahs und Sams Geschichte freue. Nicht nur der Klappentext klingt hier wirklich vielversprechend. Auch das Cover und die generelle Aufmachung des Buches verzaubern den Leser auf den ersten Blick und sorgen für ein unvergessliches Leseerlebnis. Insbesondere die kleinen Details wie die Schmetterlinge oder die Blütenzweige, welche auch die Kapitelanfänge verzieren, sind in meinen Augen ein absoluter Hingucker.
Mir fällt es schwer in Worte zu fassen, was Ava Reeds Schreibstil in mir ausgelöst hat. Wie immer schreibt sie flüssig, locker und wirklich angenehm, so dass ich keinerlei Probleme beim Einstieg in die Geschichte hatte, doch den Leser erwartet so viel mehr als nur das. Macht euch gefasst auf eine emotionale, ehrliche und schonungslose Erzählung, die genau so auch im echten Leben geschehen könnte. Erwartet realistische, greifbare und wahnsinnig berührende Worte, die tief unter die Haut gehen. Und bereitet euch auf schockierende Momente vor, mit denen die Autorin nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern viel tiefer geht. „Wenn ich die Augen schließe“ ist so viel mehr als nur ein Jugendbuch. Es ist eine reine Achterbahnfahrt der Gefühle, ein wahrhaftiger Mutmacher, mit dem Ava Reed vielen Heranwachsenden das Leben erleichtert und eine großartige Message in die Welt setzt.
„Niemand sollte gemobbt werden, weil er...anders ist. Zu ruhig oder zu laut, zu bunt oder zu einfach. Weil er Musik sehr mag oder sich nicht die neusten Nikes leisten kann. Niemand sollte gemobbt werden !“
Norahs leben ist bislang das eines typischen Jugendlichen. Viele Partys, mürrische Laune und das Gefühl, immer zu den Besten und Coolsten gehören zu müssen, prägen ihren Alltag, wobei sie aber nicht merkt, wie viele Menschen sie mit ihrem Verhalten eigentlich verletzt. Dann geschieht der Unfall. Der Moment, der den Leser schockiert und Norahs Leben schlagartig um 180 Grad verändert. Es ist aber auch der Augenblick, der die echte Norah zurückholt, die sich vor dem schlimmen Ereignis hinter falschen Freunden und einer kalten Fassade versteckt, die in Wahrheit nicht sie selbst ist. Nun dürfen wir sie dabei begleiten, wie sie sich selbst wiederfindet, begreift, was sie mit ihren früheren Taten angerichtet und wen sie dabei verletzt hat. Es ist der Beginn eines schleichenden Prozesses, der uns zeigt, dass alle Menschen Fehler machen, die zu einem jeden Leben dazugehören. Ava Reed verdeutlicht mit Norah, dass es nicht den perfekten Menschen, nicht das optimale Leben oder das ausgezeichnete Vorbild gibt, nach dessen Nase jeder tanzen sollte. Sie zeigt, dass es Ecken und Kanten gibt, die einen Menschen realer, greifbarer und authentischer machen, weshalb es mir wahnsinnig großen Spaß gemacht hat, Norah auf ihrem Weg zu verfolgen.
„Wenn ich meine Augen schließe ...sehe ich mich. Nur mich. Ich erinnere mich, dass ich mir einmal gewünscht habe, etwas zu sehen, dass ich mag, das ich schön finde oder mich glücklich macht. Nie hätte ich gedacht, dass ich das sein könnte. Die echte Norah.“
Auch Sam, der mir im Laufe der Geschichte fest ans Herz gewachsen ist, hat sein Päckchen zu tragen und kämpft täglich mit den schweren Lasten seiner prägenden Vergangenheit. Man lernt ihn als schüchternen, hilfsbereiten und unheimlich liebevollen Menschen kennen, den ich so schnell nicht mehr loslassen werde. Sein Schicksal hat mich tief getroffen und zum Nachdenken angeregt, da es wirklich weh tut zu lesen, was er mit seinen jungen Jahren schon erleben musste. Besonders toll mitzuverfolgen ist seine große Liebe und Leidenschaft zur Musik, die ihm täglich hilft seine Stärke nicht zu verlieren und ihm Mut macht, niemals aufzugeben. Auch die charakterliche Entwicklung, die seine Geschichte mit sich bringt, ist ganz wundervoll zu lesen. So ist Sam von einem unsicheren, zerbrechlichen Junge, zu einer deutlich stärkeren Person herangewachsen. Ich liebe seine Person, weshalb ich stellenweise doch gerne noch einen weitläufigeren Einblick in seine Gedanken- und Gefühlswelt bekommen hätte, die mir in manchen Momenten ziemlich gefehlt hat.
„Musik ist Kunst, die ist Ausdruck. Musik ist Gefühl. Es ist ziemlich schwer zu beschreiben, aber wenn ich auf meiner Gitarre spiele, erzähle ich eine Geschichte. Man sieht sie nicht wie bei einem Buch oder einem Bild, man hört sie. Selbst wenn es nur eine Melodie ist ohne Worte. Es hilft mir, Dinge loszulassen - oder einzufangen.“
Wie immer kommen mit “Wenn ich die Augen schließe” auch greifbare Nebencharaktere mit her, die allesamt wahnsinnig wichtig für die Geschichte sind. Seien es Sams und Norahs Eltern, die ausschlaggebend und prägend für die fortlaufende Handlung sind. Oder Lu, deren Gefühle mir stellenweise das Herz zerrissen und mich mit Tränen in den Augen zurückgelassen haben. Auch Jonas, Ella und die restlichen Mitglieder der falschen Clique spielen eine wichtige Rolle, da sie als Mobber und Mitläufer schlimme Dinge getan haben, die zeigen, was einfache Worte mit einem Menschen überhaupt anrichten können.
„Du wolltest mich nie (...) Ich habe immer gedacht du wolltest mich nie dabeihaben. Oder du hast mich nicht lieb“ (Lu, S.222)
Bevor ich auf die allgemeine Handlung zu sprechen komme, muss ich unbedingt auch noch ein paar Worte zur unscheinbaren und etwas im Hintergrund stehenden Liebesgeschichte verlieren, die mir deshalb aber nicht weniger gut gefallen hat. Im Gegenteil, denn bei der ruhigen, langsamen und dennoch wunderschönen Annäherung der Protagonisten ist mir wahrhaftig das Herz aufgegangen. Die Tatsache, das sie zusammen die Schattenseiten des Lebens kennenlernen, gemeinsam den Mut zum Kämpfen finden und Seite an Seite stark bleiben, setzt nur noch einen drauf und sorgt für eine wundervolle Jugendbeziehung. Zudem konnten mich die zuckersüßen Kussszenen und weitere unvergessliche Momente wirklich begeistern.
“Wenn ich die Augen schließe” beinhaltet so viel mehr als nur eine einfache Liebesgeschichte. Es geht um Mobbing, Gruppenzwang, Selbstverletzung und die Blindheit, mit der man manchmal durchs Leben geht. Zudem werden Themen wie Selbstreflektion, Selbstfindung und die Frage: ‘Wer bin ich überhaupt?’ angesprochen, was mich wirklich begeistern konnte. Unheimlich faszinierend sind auch die Dämonen, die manche Jugendliche tatsächlich mit sich tragen, die Probleme, die einen in der Pubertät belasten und die “Coolness” die in solchen Situationen mal Oberhand gewinnt.
Norahs Leben ist nach dem verändernden Unfall ein kaputtes Puzzle, von dem niemand mehr weiß, wie die Teile zusammengehören. Aus diesem Grund ist es ganz wundervoll wie sie im Endeffekt lernt, auch mal gegen und nicht mit dem Strom zu schwimmen und ihr der Unfall gelernt hat, die Augen zu öffnen. Doch die bedrückende Atmosphäre bringt nicht nur die Probleme eines Jugendlichen mit sich, sondern auch die inneren Konflikte der Eltern werden hier schonungslos gezeigt. Die Sorge das Kind loszulassen und in die große weite Welt hinauszulassen liefern sich einen ständigen Kampf mit dem Beschützerinstinkt.
„Weil wir alle Fehler machen. Weil wir alle Entscheidungen treffen und es keine Anleitung für das Leben gibt.“
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